Nach 200 Jahren Forschung: Parkinson noch immer nicht heilbar. Was ist das Parkinson-Problem?
„Unter den wirklich schlimmen Erkrankungen ist Parkinson immer noch die beste.” (Prof. Dr. Dr. hc. Wolfgang Oertel)
Ja!?
Das bedeutet aber auch, noch schlimmere und aus verschiedenen Gründen wichtigere Erkrankungen (Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Infektionskrankheiten…) werden bevorzugt behandelt und deren Erforschung wird besser finanziert, oder?
Im Vergleich zu den anderen wirklich schlimmen Erkrankungen ist die Anzahl der Parkinson-Patienten gering und diese sind überwiegend in hohem Alter. Bis auf ein unwillkürliches Kopf- und/oder Händeschütteln fallen sie kaum auf. Die Symptome lassen sich mit teuren Medikamenten, die mehrmals täglich, über Jahre und Jahrzehnte eingenommen werden müssen, für mehrere Jahre auf ein erträgliches Maß reduzieren.
Solange die Krankheit nicht geheilt werden kann, ist sie eine lngfristig sichere wirtschaftliche Basis für eine erhebliche Zahl an Neurologen, Spezial-Praxen und -Kliniken, Pflege-Unternehmen… und insbesondere für die Pharma-Unternehmen, die diese Medikamente herstellen (s. o.). Für eine Million Patienten in Europa geht es dabei um ca. eine Milliarde Euro – jeden MONAT, denn an jedem Parkinson-Patienten verdient die Gesundheits-Industrie >1.000 €/Monat.
Diese Medikamente etc. werden überflüssig, sobald es kausale Therapien gibt. Darunter leiden würden diejenigen, die an den derzeit verfügbaren Medikamenten (siehe oben) und am Zustand der Patienten und deren Krankheitsverlauf verdienen und deren wirtschaftliche Existenz durch das Verschwinden der Erkrankung beeinträchtigt oder gar gefährdet wäre.
Somit ist eine Entwicklung kausaler Parkinson-Therapien zum Ausschalten der Krankheit offenbar nicht für alle Beteiligten gleichermassen attraktiv – aus rein wirtschaftlicher Sicht der behandelnden Ärzte, an Parkinson forschenden Wissenschaftler und mit der Behandlung der Krankheit befassten Institutionen und Unternehmen, ist sie es eben nicht. Dass das tatsächlich so ist, zeigt ein totales Versagen des Marktes bei der Entwicklung kausaler Therapien (siehe YUVEDO-Foundation-Gutachten zum Marktversagen, 2020). Ist das nachzuvollziehen?
Die Parkinson-Lobby ist denn auch klein und schwach und blass. Infolgedessen stehen nur viel zu geringe Mittel für die Forschung und Entwicklung einer kausalen Therapie zur Verfügung, insbesondere fehlen öffentliche Fördermittel. Deshalb gehen auch exzellente Forschungsanträge mit hohem Gutachter-Score regelmäßig leer aus.
Aktuelle Forschung
Wie wahrscheinlich ist es, dass die aktuellen und absehbaren Forschungsanstrengungen vor 2030 zu einer wirksamen kausalen Therapie führen?
Es gibt zahlreiche ermutigende Forschungsergebnisse und Initiativen (Zusammenstellung in Bearbeitung). Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit gering, in den nächsten 10 Jahren die Fähigkeit zur Heilung der Erkrankung zu erlangen.
Warum?
Aktuelle Forschungsprojekte befassen sich jeweils mit bestimmten Aspekten der Parkinson-Krankheit – ihrem Ursprung, dem Mechanismus ihres Fortschreitens und ihrer Ausbreitung oder ihrer Behandlung und zwar jeweils aus Sicht und durch die Brille des Facharztes für Neurologie, Neuro-Chirurgie, Schlafmedizin, Pharmakologie, Genetik, … Die Forschungslandschaft ist zersplittert und wird von „kleinen Fürstentümern“ dominiert, die sich mehr als nützlich gegeneinander abgrenzen und weniger als notwendig miteinander kooperieren. Das „Schrebergarten-Prinzip“. Ein umfassender, ganzheitlicher Ansatz fehlt ebenso wie eine international koordinierte Aktion – ganz zu schweigen von den benötigten Geldern und Ressourcen die dafür notwenig wären (s. o.).
Fakten und Zahlen zur Erkrankung
Patienten mit der Diagnose PARKINSON
Weltbevölkerung: > 8 Millionen | Europa: >1 Million | Deutschland: >200.000
Kosten
Für Medikamente pro Patient >1.000 EUR/Monat
Für die > 1 Milllion Patienten in Europa > 1 Milliarde EUR/Monat also >12 Milliarden EUR/Jahr und somit in den kommenden 10 Jahren mehr als 120 Milliarden EUR.
Es stehen also sehr erhebliche Mittel für diese Krankheit zur Verfügung und werden auch ausgegeben – von den Patienten über die Krankenkassen weiter an die Medikamentenhersteller.
Wer hat ein Interesse etwas daran zu ändern?
Die EU stellt im Rahmen ihrer Förderinitiative HORIZON EUROPE für den Zeitraum von 2021 bis 2027 zirka acht Milliarden Euro für die gesamte Gesundheitsforschung zur Verfügung. Für die Parkinson-Forschung ist nur ein winziger Bruchteil – einige Millionen Euro – vorgesehen. Damit ist ein entscheidender Durchbruch nicht möglich.*
Zur Abschätzung der benötigten Mittel sind Erfahrungen aus der Medikamentenentwicklung pharmazeutischer Unternehmen hilfreich. Hier rechnet man vom Zeitpunkt der Verfügbarkeit einer wirksamen Substanz („Therapiekandidat”) bis zur Markteinführung mit einer Dauer von ungefähr 10 Jahren und mit Kosten in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro.
Das bedeutet aber auch, dass bei einer Million Patienten in Europa pro Patient „nur” 1.000 € aufgebracht werden müssten und die ERSTE MILLIARDE wäre beisammen. Das wäre eine eindrucksvolle Anschubfinanzierung bzw. Belohnung, die derjenigen Person oder Institution gezahlt werden könnte, die eine kausale Therapie zur Heilung der Parkinsonschen Krankheit entwickelt und zur Verfügung stellt.
Wissensstand
Die Ursachen oder Auslöser für die Erkrankung sind bislang unbekannt. Der Krankheits-Mechanismus ist nach wie vor nicht aufgeklärt.
Behandlung – auf Krankheitssymptome beschränkt
Eine Heilung von Parkinson ist gegenwärtig nicht möglich. Es gibt keine Prävention und keine Möglichkeit, die Krankheit zu stoppen oder ihren Verlauf zu verlangsamen.
Bisher größte Fortschritte:
- Behandlung mit L-Dopa, 1973 erstmals als Medikament verfügbar
- Tiefe Hirnstimulation, 1998
- MR-geführter fokussierter Ultraschall, seit 2018 in Deutschland verfügbar, erstes Gerät in Bonn, seit 2021 ein weiteres Gerät in Kiel (zur Behandlung von Tremor-PPatienten)
Ansonsten gibt es keine nennenswerten Fortschritte.
* Einer der Wissenschaftler, die dieses Projekt unterstützen schrieb neulich (2021): „Es wird sicher nicht leicht, in großem Maßstab öffentliche Mittel für neue Parkinsonforschung zu bekommen. Dazu hat die Gesundheitsforschung insgesamt einen viel zu geringen Stellenwert in den Prioritäten der Politik. So ist das Budget der EU unter Pillar 2 des Forschungsprogramms Horizon Europe mit ungefähr 7? Milliarden insgesamt geringer als das aller anderen Bereiche (Klima, Energie, Food… Das ist besonders erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die EU pro Tag ungefähr 4.5 Milliarden für Gesundheitskosten ausgibt. Das Konzept, durch Forschung Kosten einzusparen, hat offensichtlich die europäische Politik noch nicht überzeugt*. Ich sehe die beste Chance in einem patientengetriebenen Projekt, ähnlich der Hereditary Disease Foundation, die die Identifikation des HD Gens sicher deutlich beschleunigt hat. Sergej Brin/Google zum Beispiel könnte theoretisch in den nächsten Jahren mehr zur Parkinsonforschung beitragen, als die EU in ihrem Rahmenprogramm für die Gesundheitsforschung insgesamt ausgeben wird.“
Deutschland hatte im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt Gesundheitskosten in Höhe von 474 Mrd. € (13,2 % BIP). Das sind 1,3 Mrd. € pro Tag – jeden einzelnen Tag.