PARKINSON TERMINATOR-PROJECT, ein Uwe Radelof – Projekt

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Zellersatz-Therapie bei Parkinson

Mehr als 30 Jahre Forschung – wo stehen wir heute?

Ein Beitrag von André Schröer

Seit über 30 Jahren wird eine Dopamin-Zellersatztherapie für Parkinson erforscht. Mit dieser Behandlungsmethode konnte die Erkrankung bei einigen Patienten bisher so weit verbessert werden, daß mehrere sogar ihre Medikamente absetzen konnten. Es wurde nachgewiesen, daß die transplantierten Zellen im Gehirn der Parkinson-Patienten bis zu 24 Jahren überleben.

In Schweden und Großbritannien ist derzeit eine neue Studie mit stammzellbasierten Dopaminzellen in Planung – die STEM-PD-Studie, die den Grundstein für größere Studien in ganz Europa und auch in Deutschland legen soll.

Eine Zellersatztherapie zielt darauf ab, verlorenes oder geschädigtes Körpergewebe beim Menschen durch neues Gewebe zu ersetzen. Dieses Verfahren ist analog zur Organtransplantation.

Beschädigtes Gewebe kann sich an verschiedenen Stellen im menschlichen Körper befinden. Es kann ein ganzes Organ betreffen, wie z. B. eine Niere, das Herz oder die Leber. Es kann auch eine Gewebestruktur sein, die deutlich kleiner oder im Körper des Menschen verteilt ist und dort ihre Funktion ausübt. Dies können die Langerhansschen-Inseln in der Bauchspeicheldrüse oder Neuronen im menschlichen Gehirn sein.

Der Funktionsverlust eines ganzen Organs kann ebenso tödlich sein wie der Verlust von Teilmengen von Zellen in ihm, so wie Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse, die Diabetes verursachen. Im Gehirn können Verluste bestimmter Nervenzellen zu gut definierten klinischen Erkrankungen führen, z. B. der Verlust von Dopamin produzierenden Neuronen im Gehirn (Substantia nigra), der Parkinson verursacht.

Die Substantia nigra ist eine kleine Ansammlung von Nervenzellen, die oben am Hirnstamm im Mittelhirn liegt. Ihren Namen verdankt sie den durch Melanin braun gefärbten Nervenzellen. Sie sind in geringer Zahl vorhanden und setzen Dopamin frei. Das macht sie zu einem Spitzenkandidaten für den Ersatz durch neue Dopaminzellen mittels neuronaler Transplantationen.

Anfang der 1980er Jahre begannen Wissenschaftler der Lund Universität in Schweden zu untersuchen, wie man die verlorenen Zellen der Substantia nigra ersetzen kann. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, daß die Parkinson-Medikamente (L-Dopa) zwar bei vielen Symptomen und Anzeichen von Parkinson sehr gut wirken, aber mit der Zeit selbst Komplikationen verursachen – wie z. B. L-Dopa-induzierte Dyskinesien. Das erschwert ihren Einsatz.

In dieser frühen Forschungsperiode wurden verschiedene endogene Quellen von Dopaminzellen gesucht und im Tierversuch erprobt, um festzustellen, ob sie nach der Transplantation im Gehirn überleben und insbesondere, ob sie die Funktion der normalen dopaminergen Zellen der Substantia nigra langfristig ersetzen können.

Es wurde festgestellt, daß nur sich entwickelnde, fetale dopaminerge Vorläuferzellen, die in das Gehirn transplantiert wurden, wirklich gut überlebten. In Tiermodellen von Parkinson erzielten nur diese Vorläuferzellen das erforderliche Niveau, um für die Patienten den vollen Nutzen zu leisten.

1987 begannen in Schweden die ersten klinischen Studien am Menschen. Insgesamt wurden dort 18 Patienten behandelt. Die klinischen Studien in Schweden waren bewußt immer auf ein bis zwei Patienten gleichzeitig beschränkt. Dieser iterative Ansatz wurde gewählt, um die angestrebte Verbesserung der Ergebnisse zu erreichen. Für den Zeitraum, innerhalb dessen die Techniken zur Durchführung der Behandlungen optimiert wurden, behielt man das Open Label Format der Studien bei.

In den 90er Jahren wurden jedoch in den Vereinigten Staaten zwei klinische Studien mit einer größeren Anzahl von Patienten durchgeführt, deren Ergebnisse in den Jahren 2001 und 2003 veröffentlicht wurden. Diese erfüllten den anerkannten Goldstandard für klinische Studien (randomisiert, doppelblind und Placebo kontrolliert). Leider waren der Transplantationsansatz und einige Aspekte des Studiendesigns suboptimal. Beide Studien haben ihre primären Endpunkte nicht erreicht. Dies erschwerte die Entscheidung, ob diese Therapie für die Behandlung in der Zukunft geeignet ist.

Infolgedessen einigten sich alle teilnehmenden Wissenschaftler weltweit auf ein vorläufiges Moratorium für klinische Studien an Menschen, bei denen fetale Dopaminzellen verwendet werden.

Im Jahr 2014 veröffentliche die schwedische Lund Universität beeindruckende positive Langzeitergebnisse von 3 Patienten, die an Open Label Studien teilgenommen haben. Bei diesen Patienten waren die Transplantate für 15, 18 und 24 Jahre4, 5 funktionsfähig. Alle drei waren bis zu ihrem natürlichen Tod jahrelang nahezu symptomfrei und benötigten in den letzten Jahren ihres Lebens nur geringe Mengen an Parkinson-Medikamenten.

In Europa haben die beteiligten Forscher aus Schweden, Großbritannien, Deutschland und Frankreich in diesen Jahren weiter intensiv nach den Ursachen der Mißerfolge und nach Wegen zur erfolgreichen Transplantation von Zellen gesucht. Im Ergebnis wurde im Jahr 2010 die Durchführung der TRANSEURO-Zellstudie genehmigt und mit Fördermitteln der EU unterstützt. Die Transplantationen von humanen, fetalen Dopaminzellen begannen 2015 und endeten 2018.

Aufgrund der Komplexität und des Umfangs bei der Bearbeitung von Zulassungsanträgen und Studienunterlagen auf der Grundlage der national unterschiedlichen Vorschriften, verliefen die Studien in den einzelnen Ländern unterschiedlich schnell. Dies führte letztendlich dazu, daß die Transplantationsstudie nur in Großbritannien und Schweden durchgeführt wurde.

Ab 2015 wurden bei der TRANSEURO-Studie in Schweden und Großbritannien 11 Transplantationen durchgeführt. Bei jedem Patienten wurden pro Gehirnhälfte Zellen von 3 gespendeten Föten aus Schwangerschaftsabbrüchen transplantiert. Während der Studie offenbarten sich die logistischen Schwierigkeiten, die eine Behandlung mit fetalem Gewebe verursacht. Wegen zu geringer Mengen an Gewebe konnten innerhalb von 3 Jahren nur 11 Patienten von geplanten 20 transplantiert werden.

Infolgedessen wandte sich das Interesse den Stammzellen zu. Es wurde eine Technik entwickelt, um diese Stammzellen in die gewünschten neuronalen, dopaminergen Vorläuferzellen (Progenitoren) in vitro (im Reagenzglas) zu differenzieren. Dies wurde 2011/2012 gelöst und ermöglichte es, innerhalb von 16 Tagen dopaminerge Vorläuferzellen höchster Reinheit und in pharmazeutischer Qualität für mehrere hundert Patienten heranwachsen zu lassen. Diese Zelltypen werden als fortschrittliche Medizinprodukte (ATMP = Advanced Therapy Medicinal Product) bezeichnet. Basierend auf dieser Technik ist eine neue Studie für die Stammzell-basierte Zellersatztherapie geplant, die 2021 in Schweden und Großbritannien durchgeführt werden soll. Dies ist die STEM-PD Studie.

Das Ziel ist es nachzuweisen, daß mit Hilfe lebender Zellen die verlorenen Neuronen zuverlässig, effektiv und langfristig ersetzt werden und Parkinson-Patienten ein weitgehend normales Leben führen können.

Die Informationen wurden aus einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen entnommen und zusammengestellt von: André Schröer, Pflegender Angehöriger, Berlin.

Hier sind 5 dieser wissenschaftlichen Publikationen:

Referenzen

1) Agnete Kirkeby, Malin Parmar, Roger A. Barker, 2017, Strategies for bringing stem cell-derived dopamine neurons to the clinic: A European approach (STEM-PD), Science direct, Progress in Brain Research, Volume 230, 2017, Pages 165-190
https://doi.org/10.1016/bs.pbr.2016.11.011

2) Sara Nolbrant, Andreas Heuer, Malin Parmar & Agnete Kirkeby, 31.08.2017, Generation of high-purity human ventral midbrain dopaminergic progenitors for in vitro maturation and intracerebral transplantation, Nature Protocols volume 12, pages 1962-1979 (2017)
https://www.nature.com/articles/nprot.2017.078
3) Roger A. Barker & TRANSEURO consortium, 01.07.2019, Designing stem-cell-based dopamine cell replacement trials for Parkinson’s disease, Nature Medicine, volume 25, pages 1045 – 1053 (2019)
https://www.nature.com/articles/s41591-019-0507-2

4) Anders Björklund, Håkan Widner, Stig Rehncrona, Patrik Brundin, Olle Lindvall, January 2014, Long-term Clinical Outcome of Fetal Cell Transplantation for Parkinson Disease Two Case Reports
Patienten 1 und 2 (Patients 7 and 15 according to the counting method of the authors)
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4235249/
https://www.nature.com/articles/npjparkd201517?platform=oscar&draft=collection

5) Li W, Englund E, Widner H, Mattsson B, van Westen D, Lätt J, Rehncrona S, Brundin P, Björklund A, Lindvall O, Li JY, May 2, 2016, Extensive graft-derived dopaminergic innervation is maintained 24 years after transplantation in the degenerating parkinsonian brain, PNAS published ahead of print May 2, 2016
Patient 3
https://doi.org/10.1073/pnas.1605245113
https://www.lunduniversity.lu.se/lup/publication/bd102a2e-9c50-4422-8e45-4eebc8b810fd
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27140603

Begriffsklärungen

L-Dopa-induzierte Dyskinesien (LID)
L-Dopa induzierte Dyskinesie bei Parkinson ist eine durch Levodopa (L-Dopa) hervorgerufene Form der Dyskinesie (unwillkürliche Bewegungsschwankungen). Es handelt sich häufig um hyperkinetische Bewegungen, einschließlich neurologischer Bewegungsstörungen, neurologisch bedingter Fehlhaltungen (Chorea) und ungewollten, langsamen, bizarren, häufig schraubenförmigen Bewegungen der Gliedmaßen (Athetose).

Oder in einfachem Deutsch:
L-Dopa induzierte Dyskinesien sind unwillkürliche, vom Patienten nicht kontrollierbare Körperbewegungen. Sie führen zu rhythmischen Bewegungen der Arme, Beine oder des Körpers. LID treten häufig nach Medikamenteneinnahme beim Erreichen des höchsten L-Dopa-Spiegels im Blut auf und klingen mit abnehmendem Dopaminspiegel wieder ab (peak dose).
LID können auch bei steigendem oder fallendem L-Dopa-Spiegel auftreten und sind als wiederholte, gleichmäßige Bewegungen, oft der Beine, gekennzeichnet (On-Off-Dyskinesien).

Nach mehrjähriger Therapiedauer (bei idiopathischem Parkinson teilweise ab 5 Jahren) mit L-Dopa, weisen 30 % der Patienten motorische Wirkungsschwankungen auf. Ursache ist die nachlassende Medikamentenwirkung.

Iterativer Ansatz
Der iterative Ansatz beschreibt ein Vorgehen, mit dem man sich einer Lösung schrittweise annähert. Jede vorangegangene klinische Studie stellt einen Lernprozess dar. Mit dem besten zum neuen Studienzeitpunkt vorliegenden Wissen, Material und Vorgehen werden weitere Erfahrungen gesammelt. Deren Ergebnisse liefern dann eine neue Wissensbasis für die darauffolgende klinische Studie. Durch mehrfaches Wiederholen der klinischen Studie mit neuen Kenntnissen, weiter verfeinerten Methoden und verbessertem Zellmaterial wurde das angestrebte Ziel erreicht. Das Ziel war die Schaffung eines wirksamen und langfristig stabilen Ersatzes für die verlorengegangenen dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra.

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